Der Mehrwert von Jugendarbeit
in der Schule
Worin besteht für Sie der Mehrwert von Jugendarbeit und non-formaler Bildung in der Schule?
Die Jugendlichen können mit Hilfe der „peri- und paraschulischen“ Angebote ihre verschiedenen Stärken, Kompetenzen und Fähigkeiten, die sie im formalen Unterricht nicht unbedingt zeigen können, ausprobieren, weiterentwickeln und nutzen (ggf. sogar im Sinne von Transferleistungen in den formalen Bildungskontext). Es erlaubt ihnen, in diesen Bereichen über sich hinauszuwachsen und dadurch ihre Selbstwirksamkeit zu erleben und zu steigern.
Unser Lyzeum unterscheidet sich diesbezüglich schon von anderen Schulen. In unserem Curriculum stellen verschiedene Lifeskills einen wesentlichen Teil der Ausbildung dar, und sie bilden eine Voraussetzung für die Ausübung ihres späteren Berufes als Erzieher*in. Die Entwicklung der Persönlichkeit zu einem mündigen Bürger gehört dabei zu den Hardskills, das heißt ein Schwerpunkt der Ausbildung am LTPES liegt auf der Entwicklung der Personalkompetenzen. Allerdings werden diese Kompetenzen für fast alle Berufe in Zukunft immer wichtiger.
Was bietet das LTPES bereits im Bereich der non-formalen Bildung und der ausserschulischen Aktivitäten an?
Wir bauen seit Oktober 2018 bzw. Januar 2019 mit Hilfe von einem Sozialpädagogen (Andy Devaquet) und einem Erzieher (Steve Watry) in unserem Service socio-éducatif (SSE) ein außerschulisches Angebot aus. Dazu gehören ganz unterschiedliche soziokulturelle Aktivitäten. Diese Angebote müssen in unseren Augen per se inklusiv sein und sich somit auch an junge Leute mit spezifischen Bedürfnissen richten. Unsere außerschulischen Aktivitäten (siehe auch www.ltpes.lu) werden dabei nicht nur vom SSE angeboten, sondern selbstverständlich auch weiterhin vom Lehrpersonal des LTPES. Der SSE koordiniert diese Angebote mit Hilfe der Direktion. Ebenfalls wichtig sind natürlich Gesprächsangebote in verschiedenster Form für die Schüler*innen. Dies kann jedoch nur aufgebaut werden, wenn die im SSE tätigen Personen bekannt, im Schulalltag sichtbar sind und auch als Teil der Community wahrgenommen werden.
Welche wichtigen Erkenntnisse haben sie bisher gewonnen, und was würden sie anderen Schulen für eine erfolgreiche Umsetzung raten?
Der SSE muss gut in die verschiedenen Schulstrukturen integriert werden und Teil der Schulphilosophie und des Schulkonzeptes sein. Die Schlüsselrolle dabei spielt nach unserem Erachten die Schulleitung. Eine gute und regelmäßige Kommunikation zwischen der Direktion und dem SSE ist demnach sehr wichtig. Zudem ist es die Aufgabe der Schulleitung, diese Integration mitzudenken und mitzugestalten. Dazu gehört zum Beispiel die Beteiligung des SSE an der schulischen Entwicklung bzw. als Mitglied in der Cellule de Développement Scolaire sowie im Comité de la Conférence du Lycée, aber auch die aktive Mitgestaltung bestimmter Anlässe wie z. B. die gemeinsame Planung der Portes Ouvertes der Schule. Durch eine solche transversale Einbindung wird verhindert, dass der SSE ein Fremdkörper bleibt, der nur bei „Problemen“ und „Krisen“ eingesetzt wird, denn die Mitglieder des SSE sollen eben nicht eine reine „Feuerwehrfunktion“ einnehmen.
Wie kann den Lehrer*innen noch besser vermittelt werden, was Jugendarbeit in der schule bedeutet und worin ihr Mehrwert besteht?
Im LTPES sind die meisten Lehrer*innen recht gut informiert, weil das Konzept der Jugendarbeit Teil des allgemeinen Curriculums ist. Aber je nach Schule ist dies sicherlich eine Herausforderung. Die Mitglieder der SSE müssen, wie schon erwähnt, an verschiedenen Veranstaltungen aktiv teilnehmen und diese mitgestalten können, damit ihre Rolle und Wichtigkeit im Sinne der Whole school approach auch verstanden und wahrgenommen werden. Die Schulleitung muss dies ermöglichen und aktiv fördern und auch einfordern. Wichtig ist ferner auch der Ort, an dem die SSE geographisch innerhalb der Schule angesiedelt sind. Auch hier muss deutlich werden, dass der SSE ein zentraler Bestandteil der Schule ist und seinen festen Platz hat und im Lyzeum als Teil des Lieu de vie fest verankert ist.
Welche spezifische Ausbildung wird für die zukünftigen Erzieher*innen benötigt, die in der Jugendarbeit tätig sein wollen?
Da ist eine auf einer gründlichen Erstausbildung als Erzieher*in oder Sozialpädagog*in aufbauende Weiterbildung unabdingbar. Durch einen produktiven Austausch lernen die Mitarbeiter*innen der SSE untereinander. Gerade wenn ein SSE noch neu ist, die unterschiedlichen Rollen und Aufgaben innerhalb einer Schule noch nicht ganz klar sind, ist der Austausch und ein Jobshadowing mit anderen sehr hilfreich. Der gleiche Austausch ist natürlich auch für die Direktionen verschiedener Lyzeen wichtig, da diese ebenfalls voneinander lernen und durch den Austausch neue Modelle und Erfolgserlebnisse (Good practices) in Erfahrung bringen können.
Wie schätzen sie die Umsetzbarkeit des Prinzips der Freiwilligkeit im Schulsetting ein?
Es ist nicht selbstverständlich, dass die Schüler*innen freiwillig länger im Lyzeum bleiben und verschiedene Angebote annehmen. Dass viele nach den obligatorischen Schulkursen weggehen wollen, ist schon nachvollziehbar. Aber auch die wöchentlichen Schulzeiten spielen eine nicht unwesentliche Rolle. So können beispielsweise bei einem Horaire aménagé mit einer ziemlich kurzen Mittagspause keine oder nur kurze Aktivitäten angeboten werden. Wir haben mindestens ein wöchentliches Zeitfenster, an denen die jungen Leute sich quasi innerhalb des Campus aufhalten müssen, weil sie noch am Nachmittag Unterrichtseinheiten haben. Wir bieten in dieser Zeit sehr viele Aktivitäten an, welche auch gut besucht sind. Damit die Jugendlichen freiwillig teilnehmen, müssen die Angebote natürlich breit gefächert sein und ggf. von Jahr zu Jahr variieren. Inhaltlich gesehen sind verschiedene dieser Angebote auch Teil des Curriculums (wie z.B. das Expression et animation-Fach mit verschiedenen Wahlpflichtangeboten in den Klassen 1GED), so dass die Schüler*innen sich dann einschreiben müssen.
Allerdings sollte kein Überangebot geschaffen werden. Auch müssen wir verhindern, dass eine Art „Helikopterschule“ entsteht, wo die Schule mit ihren Angeboten dauernd um die Köpfe der Schüler*innen schwirrt. Viele unserer jungen Leute sind bereits sehr engagiert bei verschiedenen Organisationen und Vereinen (im Bénévolat, als Trainer*in usw.). Das begrüßen wir natürlich, und wir wollen dies auch fördern (z.B. indem wir mit externen Organisationen zusammenarbeiten). Die Schule soll keine Konkurrenz zu diesem Engagement darstellen, im Gegenteil.
Autor
Das Interview wurde vom Service de la Jeunesse des Ministère de l’Education nationale, de l’Enfance et de la Jeunesse mit den Gesprächspartnern Henry R. Welschbillig, Directeur, und Luc Schwartz, Directeur adjoint ff, geführt.