Mit dem neuen Schulgesetz von 2017 wird das Zusammenwachsen non-formaler und formaler Bildungsansätze an den luxemburgischen Schulen gestärkt. Es geht darum, die Ansätze von Jugendarbeit und Schule sinnvoll und im Nutzen der Schüler*innen miteinander zu verbinden. Die Einführung sogenannter Services socio-éducatifs (SSE) sowie sozialpädagogisch begleiteter Jugendtreffs auf dem Schulgelände und die Implementierung weiterer Partizipationsangebote für Schüler*innen sind Bestandteil dieser Entwicklung. In diesem Beitrag soll sichtbar werden, inwiefern die Schulen von einem non-formalen Ansatz profitieren können und welchen Nutzen Schüler*innen und Lehrer*innen ganz konkret aus diesen Ansätzen ziehen können.
Hintergrund
Die junge Generation in Luxemburg wächst heute in eine Welt hinein, die eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten und Angeboten bietet. Bei der Suche nach dem jeweils eigenen und richtigen Weg fallen traditionelle Orientierungsmuster und familiäre Unterstützungsformen allerdings zunehmend weg, denn die Familienstrukturen und Lebensbiografien sind heute wesentlich vielfältiger als noch vor zwei Jahrzehnten[1]. Zudem stellen die steigenden Anforderungen der Wissens- und Leistungsgesellschaft die junge Generation vor Herausforderungen: Sie führen zu immer längeren und intensiveren Lern- und Ausbildungszeiten sowie zu einem steigenden Bedarf an Flexibilität und Mobilität. Sowohl der luxemburgische Bildungsbericht als auch der Jugendbericht zeigen, dass der gesellschaftliche Wandel heute mehr und mehr zu ungleich verteilten Bildungs- und Teilhabechancen führt, von denen langfristig besonders Kinder und Jugendliche betroffen sind[2].
Für die Politik geht hieraus der Auftrag hervor, ein günstiges Umfeld zu schaffen, um den Zugang zu Bildung und die soziale und berufliche Integration für alle jungen Menschen gleichermaßen zu unterstützen. Ein Ansatz hierzu ist die Förderung und stärkere Anerkennung der non-formalen Bildung – auch und besonders in Kombination mit formalen Bildungsansätzen in der Schule. Zwar hat die Offene Jugendarbeit in Luxemburg bereits eine lange und erfolgreiche Tradition in vielen Städten und Gemeinden. Diese Diskussion und die neuen gesetzlichen Regelungen aus dem Jahr 2017 bringen ihre sozialpädagogischen und niedrigschwelligen Ansätze jedoch in einer neuen Art und Weise ins Spiel.
Das Bildungsverständnis der Jugendarbeit
Im Kern kann das Bildungsverständnis der Jugendarbeit als „sozialpädagogische Bildung“ [3] gefasst werden, deren Ziele auf die Förderung von Autonomie, die Bewusstmachung der eigenen Interessen, Bedürfnisse und Kompetenzen und die Kultivierung von Gemeinschaftsleben und sozialem Miteinander ausgerichtet sind. Mit diesen (mittlerweile im nationalen Bildungsrahmenplan festgeschriebenen) Bildungszielen stellt die Jugendarbeit ein Komplementärprogramm zum Bildungsprogramm der Schulen dar, das hauptsächlich auf die Vermittlung von Wissen ausgerichtet ist. Thiersch beschreibt die Chance dieser Verbindung von Jugendarbeit und Schule wie folgt:
„In ihrer je unterschiedlichen Logik können Lebensbildung und inszenierte Bildung sich blockieren, nebeneinander herlaufen und miteinander fremd bleiben. Es gilt, sie in ihren Möglichkeiten gegenseitig herauszufordern, zu nutzen, zu befruchten und zu steigern – es gilt, lebensweltliche Bildungserfahrung zu respektieren und spezifisch institutionell-professionelle Möglichkeiten zu nutzen.“ 7 [4]
Der moderne Bildungsbegriff wird also in einem weiteren Verständnis gesehen, er begrenzt sich nicht mehr auf die formale Wissensvermittlung in der Schule.
Im Schulalltag zeigt sich diese Entwicklung konkret darin, dass im Rahmen von Beteiligung, Gruppenaktivitäten und schulischer Projektarbeit neue Chancen für eine Schul- und Unterrichtsgestaltung gesehen werden, die stärker als bisher auf Erfahrungslernen und auf die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen ausgerichtet ist. Dem Ansatz des Learning by Doing etwa wird ein herausragendes pädagogisches Potenzial zuerkannt, das bisher im Schulalltag häufig hinter den klassischen Lernmethoden zurückstand: Die partizipativ angelegten Ansätze der Projektarbeit stellen das Pendant zum Frontalunterricht dar und ermöglichen es den Schüler*innen, auf einem interaktiven Weg eine konkrete Form der Selbstwirksamkeit zu erfahren und so zu mehr Selbstsicherheit und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu kommen. In diesem Sinne können viele Themen des Lehrplans – auch fächerübergreifend – in Projekte einfließen und interaktiv bearbeitet werden. Erhalten sie die Möglichkeit, eine Unterrichtsstunde und/oder die Lernmethoden aktiv mitzugestalten, entwickeln die Schüler*innen einen näheren Bezug zu den Lerninhalten, wodurch die Identifikation mit und das Gefühl der Zugehörigkeit zur Schule erheblich gestärkt werden können. Aber solche und weitere Ansätze können zusätzliche und neue Lernangebote entwickelt werden, die ganz anders gestaltet sind als der „normale Unterricht“, aber dennoch erhebliche Lernerfolge erzielen. Außerhalb des Unterrichts ergänzen die Angebote des Service socio-éducatif, des „Jugendtreffs“ oder des SePAS die normalen Unterrichtszeiten und schaffen einen Raum für die Bearbeitung der individuellen Themen und Bedürfnissen der Kinder- und Jugendlichen. Das Schulangebot lässt sich zudem noch ergänzen, um Ansätze der Jugendarbeit, die die lokalen Gegebenheiten, Einrichtungen und Kooperationspartner sowie die Eltern stärker in den Schulalltag mit einschließen.
Gelingensbedingungen einer erfolgreichen Kooperation von Jugendarbeit und Schule
An vielen Schulen stecken die Veränderungen allerdings noch in den Kinderschuhen, und Jugendarbeit und Schule haben häufig noch ein relativ unklares Bild vom jeweils anderen. Für den formalen Bildungsbereich erscheint die Jugendarbeit nicht selten als zufällig, chaotisch und undurchschaubar. Umgekehrt muss Jugendarbeit sich genügend über die Strukturen der Schule informieren um die eigenen Einsatzgebiete festlegen zu können. Dieser Prozess des gegenseitigen Kennenlernens benötigt Zeit und viel Kommunikation.
Am meisten hängt eine erfolgreiche und beständige Kooperation von Jugendarbeit und Schule aber von der Bereitschaft der Beteiligten ab, bestehende Gewohnheiten und Eigenheiten zu verlassen und sich für eine Komplementarität der Bildungsansätze zu öffnen. Dies gilt sowohl für die Schülerschaft als auch für das Schulpersonal und die sozialpädagogischen Fachkräfte. Für die Schüler*innen bedeutet es, dass sie von einer reaktiven Haltung („was soll ich tun“) zu einer stärker proaktiven Haltung („wie kann ich mich einbringen“) kommen, das Schul- und Lehrpersonal hat die Chance, in Schule und Unterricht mehr Raum für Erfahrungslernen bereitzustellen, Lernprozesse konstruktiv zu begleiten und Vertrauen in das eigenständige Wirken der Schüler*innen zu setzen und die Fachkräfte der Jugendarbeit können sich auf die Themen und Bedürfnisse der Jugendlichen konzentrieren und sozialpädagogische Bildungsprozesse reflexiv begleiten.
Dabei erscheint es wichtig, dass der „große Partner“ Schule und
die Jugendarbeit sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und ihren je eigenen Wert
und Nutzen anerkennen. Jugendarbeit in der Schule darf also nicht hinter
Ansätzen eines reinen Betreuungsangebots zurückbleiben. Um dies zu verhindern,
ist es wichtig, dass die hohe und vielfältige Bildungsrelevanz der Jugendarbeit
als Partner der Schule deutlich hervorgehoben wird.
[1] Vgl. Willems, Herbert et al.: Übergänge vom Jugend- ins Erwachsenenalter: Verläufe, Perspektiven, Herausforderungen. Nationaler Bericht zur Situation der Jugend in Luxemburg 2015.
[2] Vgl. Ministère de l’Éducation nationale, de l’Enfance et de la Jeunesse & Université du Luxembourg: Bildungsbericht. Luxemburg. Band 2: Analysen und Befunde; Willems, Herbert et al.:
Übergänge vom Jugend- ins Erwachsenenalter: Verläufe, Perspektiven, Herausforderungen. Nationaler Bericht zur Situation der Jugend in Luxemburg 2015.
[3] Vgl. Thiersch, Hans: Bildung und Sozialpolitik. In: Henschel A., Krüger R., Schmitt C., & Stange, W. (Hrsg.): Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation.
[4] Vgl. Thiersch, Hans: Bildung und Sozialpolitik. In: Henschel A., Krüger R., Schmitt C., & Stange, W. (Hrsg.): Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation. S.37.
Autor
Sandra Biewers-Grimm
Postdoktorandin an der Universität Luxemburg
Faculty of Language and Literature, Humanities, Arts and Education
Literatur
Thiersch H. (2009). Bildung und Sozialpolitik. In Henschel A., Krüger R., Schmitt C., & Stange W. (Hg.) (2009). Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.